Eigentlich passe ich auf meine Sachen immer sehr gut auf. Aber trotzdem kann es vorkommen, dass ich das eine oder andere einfach verlege und nicht wieder finde. Man kann einiges verlieren: Schlüssel, die Sprache oder die Unschuld (die ich in meinem Fall, damals übrigens in der „Lost and Found Box“ wieder gefunden habe). Aber dass ich meinen Lebensmenschen verlieren könnte, lag außerhalb meiner Vorstellungskraft.
Ich habe David, meinen von mir hoch geschätzten Lebensmenschen, verloren! Wir waren wie jeden Samstagnachmittag im örtlichen Einkaufszentrum, beim Schokolatier unseres Vertrauens, Süßwaren einkaufen. Die Verkäuferin wies mich noch auf das Schild hin: „Für Wertgegenstände wird nicht gehaftet.“ Ich dachte, die attraktive Gundi wollte mit mir flirten. Doch beim Versuch meinen nicht vorhanden Charme bei der Verkäuferin spielen zu lassen muss etwas Schreckliches passiert sein. Denn nach einer obligatorischen Abfuhr, der in der Menopause befindlichen Gundula, war David einfach verschwunden. Ohne auch nur einen leisesten Hinweis wohin. Trotz stundenlanger Suche konnte ich meinen Lebensmenschen nicht finden. Er ist seither einfach weg. Ich hoffe nur, er ist nicht vom rechten Wege abgekommen. Ich mache mir Sorgen, denn David, der ist immer zu schnell unterwegs. Führt ein einsames Leben auf der Überholspur. Waren meine Gags wirklich immer so schlecht, wie er behauptete? Ist er gar zum Lachen in den Keller gegangen? Weiß er denn nicht, wie gefährlich das in Österreich ist? Oder noch schlimmer: Wurde David als billige ostösterreichische Arbeitskraft in ein südliches Bundesland verschleppt?
David, solltest du die Zeilen lesen oder dir aufgrund deiner starken Lese- Rechtschreibschwäche vorlesen lassen, bitte melde dich!
Falls mein Lebensmensch nicht innerhalb der nächsten Tage auftaucht, werde ich eine Pressekonferenz einberufen müssen. Ob ich dazu schon fähig sein werde, sei dahingestellt. Selbst beim Verfassen dieser Zeilen flossen die Tränen literweise über meine maskulinen und kantigen Wangen. Diese tiefe Trauer über den Verlust meines Lebensmenschen wird mich noch in den Tod durch Dehydrierung treiben. Aber ich werde David nicht aufgeben…
David ist immer noch nicht aufgetaucht. Langsam mache ich mir wirklich Sorgen, denn ein Leben ohne meinen Lebensmenschen kann und will ich mir nicht vorstellen.
Er war mein „Ying und Yang“ und ohne ihn bin ich ein „und“ ohne Ying oder Yang. Genau genommen bin ich nur noch ein Häufchen Elend, das den ganzen Tag vor sich hinweint. Um ihn nicht zu vergessen, mache ich exzessiv von seinem geliebten Gesichtsbräuner Gebrauch. Mittlerweile hat mein Gesicht einen ungesunden wie unnatürlichen neon-orangen Stich. Doch es wäre pietätlos jetzt damit aufzuhören.
Zwischenzeitlich habe ich auch versucht meinen Schmerz zu ertränken. Doch das weckt tiefe Erinnerungen. Mit David konnte ich nächtelang durchzechen und eine Flasche Vodka nach der anderen in den hippsten Szenelokalen leeren. Zugegeben: er hatte nie mehr als 1,8 Promille intus. Aber erst im volltrunkenen Zustand war der ewige Nörgler wirklich erträglich. Unser exzessiver Alkoholmissbrauch hat uns einfach zusammen geschweißt.
Sein jugendliches und natürliches Äußeres war einer der wenigen Vorzüge von David. Denn neben seiner, durch einen Mixstabunfall entstellten, Fratze wirkte ich trotz ausgeprägter doppelter Hasenscharte wie ein Hollywoodbeau. Dank ihm war ich selbstbewusst und mutig genug, um Frauen über 40 anzusprechen – naja, eigentlich viel mehr anzulispeln.
Aber das ist alles Geschichte und ich muss in die Zukunft blicken. Die Hoffnung, dass David jemals wieder auftaucht ist äußerst gering. Selbst der langsam nachlassende Weinkrampf spricht dafür. Leb’ wohl Lebensmensch – heute ist die Sonne vom 2gewinnt-Himmel gefallen und mir direkt in den morgendlichen Cafe au lait.
Pressekonferenz abgesagt und meine Bitte einer nationalen Schweigewoche zurückgezogen! Mein weinerliches Dasein hat ein Ende und das genau rechtzeitig, da mein Körperflüssigkeitsanteil mittlerweile gegen Null strebt. David wurde heil und mehr oder weniger gesund aufgefunden!
Nach drei Wochen Trauer kam mir die Idee meinem Lebensmenschen einfach eine SMS zu schicken um ihn zu fragen ob alles okay sei. Ich bekam auch umgehend eine Antwort mit seinem momentanen Standort und einen Hinweis auf die günstigen neuen Jamba Klingeltöne. Nachdem ich mir als das Sparabo mit dem furzenden Habicht zugelegt habe fuhr ich sofort los um meinen Lebensmenschen abzuholen.
David verlebte die letzten drei Wochen in einem Modelbaugeschäft das am Tag seines Besuchs Konkurs anmeldete und seine Pforten schloss. Beim Versuch sich zu befreien besudelte er seine Finger mit Super-Modelkleber blieb so am Türgriff kleben. Glücklicherweise konnte er mit der anderen Hand nach einem maßstabsgetreuen Spielzeugauto greifen. Mit diesem VW-Phaeton Modell spielte er wochenlang auf dem für ihm erreichbaren Straßenteppich. Allerdings rettete ihn das nicht ganz vor dem drohenden Wahnsinn. Denn seit seiner Befreiung schreit er unentwegt mit seiner piepsigen Kopfstimme: „Er ist rechts von der Straße abgekommen. RECHTS!“ Ihm dürfte wohl beim Spielen das Modellauto aus seinen Schweißfingern gerutscht sein. Noch versuchen wir ihn in einer ruhigen und saumäßig bequemen Alm zu kurieren.
Ich habe endlich meinen Lebensmenschen wieder. Ich wünsche niemanden das, was ich in den letzten Wochen emotional durchmachen musste. Und noch ein Tipp an alle, die mich auf diesem Weg begleitet haben: „Auf Wertgegenstände wird nicht geachtet“ sollte ernst genommen werden – oder man sollte regelmäßig überprüfen, was einem etwas wert ist.